Hiram Bingham und die Suche nach Vilcabamba

Hiram Bingham unternimmt 1909 seine erste Reise nach Peru. Bei der Erforschung der Handelswege kommt er zum ersten Mal in Kontakt mit der Kultur der Inka, als ihn ein Führer zu einer alten Ruinenstadt führt. Sofort ist er fasziniert und will mehr erfahren. Zurück in den USA recherchiert er in den spanischen Chroniken und vertieft sich in das Thema Inka und deren Kampf gegen die Eroberer.

1532 dringen die Conquistadores unter der Führung von Francisco Pizarro in das Kernland der Inka ein. Getrieben von der Gier nach Gold und Reichtum ist er versessen darauf, die Inka zu vernichten. In den nächsten 40 Jahren vertreiben die Spanier Tausende Inka aus ihren Städten, verfolgen sie und strecken sie in brutalen Kämpfen nieder.

Unter der Führung des jungen Inkaherrschers Manco Cápac fliehen die Inka von Cusco in die Anden. Auf 3000m Höhe bauen sie ihre neue Hauptstadt Vitcos. Die Spanier finden sie erneut und die Inka müssen wieder fliehen. Den Chroniken zufolge ziehen sie nun in das Amazonasbecken. Im Schutze des größten Regenwaldes der Erde erbauen sie die neue Stadt Vilcabamba. Doch alles ist vergebens. 1572 werden die Inka endgültig besiegt. Seitdem ist auch ihr Zufluchtsort Vilcabamba aus der Geschichte verschwunden.

verborgene Geheimnisse
verborgene Geheimnisse

Bingham ist gefesselt von Vilcabamba und er versucht die Lage der Stadt herauszufinden. Dann findet er in den Chroniken einen weiteren Hinweis: Vitcos soll 160km nordwestlich von Cusco liegen, im Urubambatal. Vilcabamba wiederum zwei Tagesreisen von Vitcos. Wo Cusco ist, weiß Bingham. Voller Tatendrang stellt er eine Expedition zusammen. Ausgangspunkt im Juli 1911 ist Cusco. Mit seinem Freund Harry Foote bricht er am 19.07.1911 auf, um Vilcabamba zu suchen. Durch das Urubambatal folgen sie dem Fluss. Nach über 110km und rund 3/4 der Strecke zum vermuteten Vitcos schlagen Bingham und Foote in einer von steilen Felswänden umgebenen Schlucht ihr Lager auf. Bingham macht akribisch Notizen in seinem Tagebuch. Noch heute zählt es zu den berühmtesten Berichten aus erster Hand. Sie fragen einen Einheimischen aus der nahe gelegenen Siedlung, ob es Ruinen in der Gegend gibt. Er erklärt, dass es Ruinen auf dem gegenüberliegenden Berg Wayna Picchu und auf dem Bergrücken Machu Picchu gibt. Bingham hält die Namen in seinem Notizbuch fest und vereinbart mit dem Einheimischen, sie am nächsten Tag hinzuführen.

eine große Entdeckung steht kurz bevor
eine große Entdeckung steht kurz bevor

Am 24.07.1911 bereitet sich Bingham bei kaltem Regen auf den Aufstieg vor. Um 10 Uhr verlassen sie das Lager. Nach Überquerung des Flusses geht es nur noch bergauf, teilweise über extreme Steilhänge. Der Aufstieg ist sehr anstrengend, meist auf allen Vieren. Völlig erschöpft trifft Hiram Bingham gegen Mittag auf Ureinwohner, die in dem hohen Andenbergland wohnen. Ein kleiner Junge soll Bingham zu den Ruinen führen. Hinter einem Felsvorsprung eröffnet sich Bingham ein völlig unerwarteter Anblick. Sprachlos betrachtet er „hunderte von wunderschön angelegten Steinterassen, jede etwa 100m lang und 3m hoch“. Nach den Steinterrassen erwartet ihn ein weiterer spektakulärer Anblick.

ist das Vilcabamba
ist das Vilcabamba

Er sieht „feinstes Mauerwerk, geneigte und fein gebogene Außenwände, wie beim Sonnentempel in Cusco…“ Mit seiner Kamera, gesponsert von Kodak, hält er alles in Fotos fest. Bingham ist überwältigt. Ihm wird klar, dass es sich hier nicht um irgendeine kleine Siedlung der Inka handelt. Er hat eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht. Jedoch kann Bingham nicht einordnen, wo er ist. Warum ist dieser Ort nicht bekannt?

feines Mauerwerk
feines Mauerwerk

Plötzlich sieht er an dem Tempel mit den drei Fenstern eine Inschrift: Lizarraga 1902. Entsetzt fragt er nach, ob jemand Lizarraga kennt und wo er wohnt. Er ist ein Einheimischer Bauer und wohnt in San Miguel in der Nähe des Lagers. Der Bruder von Lizarraga bestätigt, dass die Ruinen im Tal bekannt sind und von Bauern, wie seinem Bruder, bewirtschaftet werden. Bingham kann erleichtert aufatmen. Lizarraga ist kein Forscher, sondern ein einfacher peruanischer Bauer. Jetzt kann Hiram die Entdeckung für sich beanspruchen.

Doch trotz dieses einmaligen Fundes lässt Vilcabamba Hiram Bingham nicht los. Am nächsten Tag macht er sich auf die Suche nach Vilcabamba. 15 Tage nach der Entdeckung von Machu Picchu stößt Bingham auf den heiligen weißen Felsen, der in der Nähe von Vitcos liegen soll. Am späten Nachmittag des 09.08.1911 ist er sich ziemlich sicher, Vitcos gefunden zu haben. Zwei Tage entfernt soll Vilcabamba liegen. Bingham steigt von den Bergen in den Dschungel des Amazonasbeckens hinab. Nach einer mehrtägigen Reise durch den Regenwald stößt er auf einzelne Ruinen. Die Einheimischen nennen sie Espiritu Pampa und zu seiner großen Freude auch Vilcabamba.

Er untersucht eingehender die Ruinen. Das Mauerwerk weist eindeutig den Baustil der Inka auf, doch ist es grob und in seinen Augen minderwertig. Je länger Bingham seiner mühsamen Arbeit in den Ruinen nachgeht, desto mehr kommt er zu der Ansicht, dass dieser Ort nicht Vilcabamba sein kann. Dafür ist er nicht speziell und außergewöhnlich genug. Schließlich geht es ja um den letzten Zufluchtsort der Inka. Doch wo ist er dann? Er geht noch einmal die Hinweise durch: Vilcabamba ist die größte Stadt der Provinz. Das Volk der Inka lebte traditionell im Hochland, warum soll es dann Zuflucht im Tiefland gesucht haben? Vilcabamba liegt zwei Tagesmärsche von Vitcos entfernt. Das trifft auch auf Machu Picchu zu, nur in einer anderen Richtung. Also ging Bingham von Vitcos direkt nach Machu Picchu. Langsam dämmert es ihm. Hat er etwa mit Machu Picchu den Zufluchtsort Vilcabamba gefunden?

1911 kehrt Bingham in die USA zurück. Er beabsichtigt seine These zu beweisen, doch seine Entdeckung von Machu Picchu findet kaum Beachtung. 1912 besucht Bingham erheut Machu Picchu und er ist immer mehr davon überzeugt, dass er hier Vilcabamba vor sich hat. Jetzt leitet er ein großes Ausgrabungsprojekt. Das Material ist so beeindruckend, dass der National Geographic Bingham eine ganze Ausgabe widmet. Im April 1913 erscheint unter dem Covertitel „In the wonderland of Peru“ – „Im Wunderland Peru“  Binghams eindrucksvoller Beitrag zur Entdeckung Machu Picchus.

Die Nachricht wird eine Weltsensation und die Öffentlichkeit lässt sich leicht überzeugen. Machu Picchu ist Vilcabamba. Der letzte Zufluchtsort der Inka. Jetzt ist Hiram Bingham berühmt. Er wird als einer der größten Entdecker in die Geschichte eingehen. Machu Picchu beeindruckt in jeder erdenklichen Hinsicht, jedoch ist es nicht Vilcabamba.

Machu Picchu entdeckt von Hiram Bingham
Machu Picchu entdeckt von Hiram Bingham

Heute geht man davon aus, dass Machu Picchu bei der Erweiterung des Inkareiches im 15. Jahrhundert entstanden ist. Als königliches Anwesen diente es den Herrschern als heiliger Ort, an den sie sich zurückziehen konnten. Wissenschaftler glauben, dass die Inka Machu Picchu lange vor dem Eintreffen der Spanier in Peru im Jahr 1532 verlassen haben. Warum das geschehen ist, bleibt, wie viele andere Dinge im Inkaland, ein Rätsel.

1964 legen Forscher weite Teile der Ruinenanlage von Vilcabamba frei. Es kann zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass Espiritu Pampa Vilcabamba, der letzte Zufluchtort der Inka, war. Mit seiner detektivischen Arbeit war Hiram Bingham auf der richtigen Spur. Er hat das echte Vilcabamba gefunden, nur hat er es nicht richtig gedeutet und beachtet. Aber kann man es ihm verdenken? Kurz zuvor hat er Machu Picchu entdeckt. Welche Leistung für die Nachwelt!

 

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